
Schaut man sich in den Medien, den Stadien und der Fanartikel-Szene so um, hat man den Eindruck, dass die Fußball-Weltmeisterschaft eigentlich rein gar nichts mehr mit Sport zu tun hat. Wann genau ist die WM eigentlich zur reinen Werbeveranstaltung geworden?
Spätestens, wenn es an jeder Straßenecke schwarz-rot-goldenen Sonnenhüte zu kaufen gibt, weiß auch der letzte Sportmuffel: Es ist wieder Fußballweltmeisterschaft! Ob es sich dabei um eine Europa- oder gar eine Weltmeisterschaft handelt, ist dem gemeinen U-Boot-Fan (taucht nur ca. alle zwei Jahre zu den Fußball-Großereignissen an der Oberfläche auf) dabei meistens ziemlich wurscht, Hauptsache, es gibt ordentlich was zu feiern. Das gibt es ja dann auch, denn die deutsche Nationalmannschaft schafft es meist verlässlich in die Vorrunde. Ein paar spannende Spiele, ein paar gleichgesinnte Schland-Supporter mit Flaggen auf den Wangen und eine Menge Bier – und der Sommer ist für viele schon perfekt.
Dirndl in Schwarz-Rot-Gold – ernsthaft?
Was dann unweigerlich kurz vor dem Auftauchen der U-Boot-Fans beginnt, ist aber auch die Zeit der gnadenlosen WM-Vermarktung, ja -Verwurstung. Es gibt nichts, was es nicht gibt auf dem großen Markt der sogenannten Fanartikel. Neben der ja leider schon fast zum Nationalinstrument gewordenen Vuvuzela und den großen und kleinen Deutschlandflaggen für Auto, Garten und Gesicht, gibt es mittlerweile auch allerlei anderes Zeug, das die Welt nun wirklich nicht braucht:
- - schwarzrotgoldene Pasta in Fußballform (was wohl die Italiener dazu sagen würden?!)
- - patriotische Badeenten im Trikot (wofür?!)
- - deutschlandfarbenen Dirndls (ernsthaft?!)
Und das ist nur eine kleine Auswahl, die Liste der überflüssigen WM-Produkte ist lang und grauenvoll.
Wenn der Rubel schneller als der Ball rollt
Nicht weniger in-your-face, aber dafür vermutlich für alle Beteiligten noch lukrativer ist die Sache mit dem Sponsoring. Obwohl die Fifa dieses Jahr anscheinend Startschwierigkeiten hatte, Partner und Sponsoren für die WM in Russland zu finden, gibt es wohl kaum eine
Mannschaft, in der nicht mindestens ein Spieler eine Werbepartnerschaft mit einem großen Sportartikel-, Kopfhörer-, oder Parfümhersteller eingegangen ist.
Dass diese Kampagnen durchaus kreativ – so wie der „Beats“-Spot von Guy Ritchie (!) – oder lustig – wie der „Visa“-Spot um das schwedische Nationalgroßmaul Zlatan Ibrahimovic – sind, darf man ihnen nicht absprechen.
Dass hier in beide Richtungen ordentlich der Rubel rollt, aber auch nicht.
Es geht nicht ohne Werbung
Es ist sonnenklar und auch nicht verwerflich, dass eine Veranstaltung, wie die Fußballweltmeisterschaft nicht ohne Werbung und Sponsoren auskommt, schließlich will niemand die Spiele im Pay-TV
anschauen müssen. Aber muss denn alles so übertrieben und aufdringlich sein? Klar gibt es im Fußball schon seit dem Werbewunder von Bern Sportmarketing (Stichwort: Adidas-Stollenschuhe), aber
damals hat es außer der Konkurrenz eher niemanden genervt. Und es ging noch viele Jahre relativ unauffällig so weiter. Ich zumindest denke gerne an meine erste bewusst erlebte WM im Jahr 1998
zurück, bei der es höchstens Spielertrikots und den Original-WM-Ball zu kaufen gab.
Aber es hilft nichts, sich über Entwicklungen unserer Zeit zu echauffieren, die man sowieso nicht rückgängig machen kann („Ich glaube nicht, dass sich dieses Internetz durchsetzen wird“). Und
eigentlich sind wir es schon längst gewöhnt, dass das ein oder andere regelmäßig stattfindende Ereignis kommerziell aufgeblasen wird. Denn schicken wir nicht alle brav am Muttertag einen
Fleurop-Strauß an Mama und geben jedes Jahr Unmengen an Kohle für Weihnachtsgeschenke aus?
Tja, und wenn wir ehrlich sind, werde auch ich spätestens dann mit einem Bierchen in der Hand vor einer Leinwand sitzen, wenn Deutschland im Halbfinale ist. Aber natürlich ganz ohne
WM-Kriegsbemalung und dämlichen Schland-Sonnenhut.

Miriam Blum ärgert sich zwar gelegentlich über zu viel Schwarz-Rot-Gold an Hauswänden, Menschen und Pferden, zählt sich aber selbst trotzdem zu den U-Boot-Fans, die sich von der guten Stimmung zur WM mitreißen lassen. Wichtiger Unterschied: Sie weiß, was Abseits ist und kann die Regel auch erklären.
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